Manchmal könnte es so aussehen, als mache ich Werbung für eine bestimmte Beziehungsform. Tu ich nicht. Ich mache nur Werbung für's Fühlen und für Liebe und Toleranz und die Freiheit sich von seiner ganz persönlichen Wahrheit berühren zu lassen.
Hier ein neuer Text zum #ProjektSchamLos. Brisante Themen berühren
Der Versuch einer Antwort auf eine vielgestellte Frage:
"Warum läßt du dich darauf ein?"
Ich stehe am Herd, bin beschäftigt. Kochen und so. Schließlich ist mein Liebster da, da möchte ich doch, dass es uns schmeckt. Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen.
Wir plaudern derweil zwanglos locker und leicht, während ich so rumbrutschel.
Er hat ein Talent dafür, mir in genau diesem Plauderton Dinge mitzuteilen, die man "normalerweise" getragenem Ton alà: "ich muß dir noch was sagen" ankündigt, um gleich darauf eine spannungssteigernde Schweigeminute folgen zu lassen, so dass der Empfänger der Botschaft sich schonmal auf etwas Besonderes einstellen kann.
Das was er mir gleich sagen wird, ist für mich so etwas, in diesem Fall etwas, das mich treffen wird. Er weiß das.
Für ihn dagegen ist es etwas Leichtes, dem er keine besondere Tragik verleihen möchte, etwas, was ihn froh macht und von dem er sich wünscht, es möge auch mich erfreuen. Geteilte Freude multipliziert sich ja bekanntlich. Im Grunde genommen bin ich auch so, wenn ich vor Freude sprühe.
Er verzichtet also auf die Ankündigung und posaunt seine Freude einfach raus. Es gibt Dinge, für die gibt es ohnehin nie den richtigen Zeitpunkt.
"Tanja war heute morgen bei mir."
Tanja, das ist eine seiner anderen Freundinnen, die ich inzwischen auch alle persönlich kenne. Er lebt polyamor. D.h. er hat liebende und teilweise intime Beziehungen mit mehreren Frauen. Ich bin eine davon und habe bisher wenig Erfahrung damit, mir einen Mann mit anderen Frauen zu teilen.
Das rationale Wissen und innere Einverständnis, sich auf solch eine Beziehungsform einzulassen, befreit mich noch lange nicht von Eifersucht.
"Tanja war heute morgen bei mir."
Seine Worte dringen an mein Ohr und fahren mir von dort direkt in die Magengrube. Gleichzeitig richtet sich mein Körper auf, wie durch einen Panzer, der sich von jetzt auf gleich um meinen Brustkorb schließt.
Kann der sich keinen besseren Zeitpunkt überlegen mir das zu sagen? Ich bin doch am kochen. Jetzt auch im doppelten Wortsinn. Groll. Widerstand.
Der ärgerliche Gedanke hilft mir erstmal, den Panzer zu errichten, um die heiße Eifersucht, die in mich reinschießt, nicht allzu schmerzhaft spüren zu müssen.
"Tanja war heute morgen bei mir."
Es ist als ob die Worte neuerlich an mein Ohr dringen, obwohl er sie nur einmal gesagt hat. Sie tröpfeln nun langsamer in mich hinein. Durch jahrelange Arbeit mit The Work of Byron Katie habe ich gelernt, dass es oft nur ultrakurze Momente sind, in denen bittere Gedanken auftauchen und Lawinen auslösen können, wenn ich mich an ihnen festkralle, anstatt die Gefühle durch mich durchfließen zu lassen. Dies ist so einer.
Ich beschließe, mich nicht sofort von meinen Gedanken und dem Groll wegtragen zu lassen. Ich atme und öffne den Panzer ein wenig. Tanja war heute morgen bei ihm. Wahrscheinlich hatten sie Sex. Hatten sie? Ja, sie hatten, bestätigt er meine Frage. Puh, mein Versuch, mich weiter dem Kochen zu widmen, mißlingt. Ich drehe den Herd ab und mich um. Überlasse mich jetzt meinen Gefühlen.
Schaue in seine Augen. Tränen fließen aus meinen, Mitgefühl strahlt aus seinen. Ich bin jetzt ganz bei mir. Der Groll verschwindet, der Schmerz darf kommen. Hier geht es um mich. Nur um mich. Ich darf eifersüchtig sein. Ich darf fühlen. Ich darf ihn lieben. Dennoch? Oder gerade deshalb?
Es ist kaum ein paar Stunden her, dass er mit einer anderen geschlafen hat. Mein System rebelliert, sowas "gehört" sich nicht. Es ist fast, als ob Generationen von Glaubenssätzen in meinem Rücken stehen und mir sagen, dass ich das einfach megascheiße zu finden habe. Und dass ich wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank habe, wenn ich mit so jemanden zusammen bin.
Ich fühle mich attackiert von diesen Gedanken und schaffe es doch, ganz bei mir zu bleiben. Ich will das jetzt fühlen. Ich bin es mir wert. Ich verstecke mich nicht und halte den Augenkontakt.
Und dann öffnet sich mein Mund und ungeplante Worte fließen heraus: "War es schön?" frage ich. Er lächelt und sagt sanft "Ja". Die Antwort, die ich vermeintlich am meisten befürchtet habe, macht mich glücklich. Ich bin erleichtert. "Nein" wäre wohl die Antwort gewesen, die mich jetzt mehr verletzt hätte.
Für eine Nanosekunde brechen in mir die Dämme der Angst und des Widerstands. Ich spüre eine Flut der Wärme und Liebe in mir. Ich bekomme den Hauch einer Ahnung, dass Liebe tatsächlich nicht kleiner wird, wenn man sie teilt.
Später erzählt er mir mehr, keine intimen Details, aber von der Ruhe und Wärme, die er erlebt hat. Ich sehe die beiden vor meinem inneren Auge und spüre die warmen Gefühle auch in mir. Für einen Moment ist da nur Fülle und Weite. Eine Nanosekunde puren Glücks.
Doch dann springt mich von hinten wieder so ein alter Glaubenssatz an und beißt sich fest: 'Neinneinneiiiinnn, dass ich das jetzt auch noch gut finde, darf einfach nicht sein!!'
Manchmal fühlt sich Glück an wie eine Bedrohung.
Wir reden noch viel an diesem Abend. Ich darf alles rauslassen, ich spüre. Irgendwann möchte ich am liebsten den Raum verlassen und mich hinterm Rechner verkriechen.
So intensiv fühlen ist anstrengend. Und ich entscheide mich, zu bleiben. So intensiv fühlen ist eine Offenbarung. Das ist Liebe machen.
Am nächsten Morgen sind die Wogen wieder still. Beim Abschied flüstere ich ihm zu, dass ich hinter all der Eifersucht eine Ahnung von der Freude am Teilen der Liebe bekommen habe.
"Ich weiß, " sagt er, während er mich liebevoll küsst "ich habe es in deinen Augen gesehen". Ja, ergänze ich still bei mir: "Und ich habe es in deinen Augen gesehen."
Die Antwort auf die Frage, warum ich mich auf so etwas einlasse? Darum!
Text: Susanne Große-Venhaus, liebens-lust, #ProjektSchamLos Bild: unsplash - Andrick Langfield
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